“Die Formel 1 hat viele Probleme” Vor dem Start der Formel-1-Saison reden alle vom dreimaligen Weltmeister Sebastian Vettel. Aber keiner redet von den Problemen der Formel 1. Hinter den Kulissen warnen einige, dass die Formel 1 ein Zukunftsproblem haben könnte. Wenige tun dies öffentlich. Der Formel-1-Insider Xander Heijnen schon. Er kritisiert auch den allmächtigen Formel-1-Chef Bernie Ecclestone.
sportschau.de: Herr Heijnen, an diesem Wochenende startet in Australien die Formel-1-Saison 2013. Immer wieder wurde Kritik an der Rennserie laut. Sie selbst haben jahrelang im Auftrag der Automobilhersteller in der Formel 1 an einer Nachfolgeserie gearbeitet, gelten als Insider, in welchem Zustand ist die Formel 1 heute?
Xander Heijnen: “Die Hersteller hatten damals 2005 vier konkrete Ziele einer neuen Serie: mehr Transparenz, mehr Stabilität, eine fairere Verteilung der Einnahmen und mehr Zuschauer, und glücklichere Zuschauer. Das hat sich bis heute schon enorm stark verbessert. Ist es schon perfekt? Nein, klares Nein. Der Zustand der Formel 1 ist aus sportlicher Sicht sehr gut. Es gibt viele unterschiedliche Sieger, spannende Rennen, genügend Überraschungsmomente. Aber die Formel 1 hat viele Probleme.”
Welche?
Heijnen: “Da sind die Teams. Viele können sich die Formel 1 kaum noch leisten. Es gibt keine Nachhaltigkeit in der Planung der Teams, viele sind abhängig von einem Sponsor. Und das Problem in der Formel 1 ist, dass es das Gesetz des Dschungels gibt. Jeder ist sich selbst der Nächste. Und auch wenn die Teams solidarisch sein sollten, wenn es darum geht, mehr abzubekommen von den Einnahmen, können sie gut damit leben, wenn andere Teams kaputt gehen. Weil sie wissen, das ist ein Team weniger, das mir Punkte und Geld wegnehmen kann. Da muss ein Umdenken stattfinden. Und die Teams müssen bereit sein, ihre Kosten zu senken. Sonst werden ihnen auch höhere Einnahmen nichts helfen, sie werden sie immer ausgeben.”
Die großen Teams wie Ferrari und RedBull wollen also ihren finanziellen Vorteil nicht aufgeben? Sie wollen gewinnen und ihnen ist es egal, ob andere Teams und die Spannung des Sports darunter leiden, wenn einige nicht mithalten können?
Heijnen: (Pause)
Kann man es so sagen?
Heijnen: “Das würden die Teams nie zugeben. Aber bisher fehlt der Beleg dass es anders ist.”
Welche weiteren Probleme sehen Sie in der Formel 1?
Heijnen: “Die Rennstreckenbesitzer zahlen bis zu 50 Millionen Dollar für ein Formel-1-Rennen. Ich frage mich, wie lange das noch so funktioniert. Die Rennstrecken haben noch zwei Einnahmequellen. Einerseits die Tickets. Und da sie nicht mehr Tribünen bauen dürfen, müssen sie die Tickets teurer machen. Und zweitens Steuereinnahmen. Viele Grand Prixs sind ohne Steuerfinanzierung gar nicht mehr denkbar.”
Neuer Abschnitt
Es kann doch keine Arbeitsgrundlage sein, dass Formel-1-Rennen quasi nur noch durch Finanzierung des Staates stattfinden?
Heijnen: “Ich will nicht sagen, dass es nicht einen Grand Prix gibt, bei dem es nicht vernünftig sein kann für den jeweiligen Staat, ein Formel-1-Rennen zu finanzieren. Beispielsweise um Aufmerksamkeit zu bekommen. Was mich eher beunruhigt ist, dass die Ticketpreise immer weiter steigen und dadurch die Familien, die Kinder und Jugendlichen nicht mehr kommen können. Und wenn man den Anschluss an die Jugend verliert, frage ich mich, wer wird in zehn, 20 Jahren noch so begeistert sein wie die aktuelle Generation.”
Aber ist es nicht auch ein Problem, dass viele traditionelle Rennstrecken wie Magny-Cours nicht mehr im Formel-1-Kalender sind, weil die Staaten sich die Subventionen nicht mehr leisten konnten?
Heijnen: “Das ist bedauerlich, ja. Es ist aber auch ein wichtiges Signal an die Formel 1 und deren Chef Bernie Ecclestone. Bis hierhin und nicht weiter. Man kann nicht ungestraft immer dem Meistbietenden hinterherlaufen und die Traditionsmärkte vernachlässigen.”
Bernie Ecclestone wird sagen, das geht. Nächstes Jahr findet erstmals ein Formel-1-Rennen in Russland statt.
Heijnen: “Bisher mag das gehen. Aber ich mache mir Sorgen, dass irgendwann die Einnahmen einbrechen und dann viele Teams noch schlechter dastehen.”
Bernie Ecclestone scheint es auch nicht zu stören, in demokratisch fragwürdige Länder zu gehen. 2011 wurde der Grand Prix von Bahrein nach politischen Unruhen erst in letzter Sekunde abgesagt. Sie arbeiten heute für eine Kommunikationsagentur, ist das nicht schlechte Publicity?
Heijnen: “Der Sport wurde immer schon gerne für Propaganda-Zwecke missbraucht. Das ist mit der Formel 1 nicht anders als in anderen Sportarten. Hat die Formel 1 da in der Vergangenheit mehrfach unglücklich agiert? Klares Ja. Klares Ja. Ist das in der aktuellen Struktur zu vermeiden? Ich glaube kaum. Gerade weil so viele Staatsgelder sicherstellen, dass die Maschine weiterläuft, wird es immer schwieriger, denen Nein zu sagen.”
Weil man das Geld der Rennstreckenbesitzer natürlich einnehmen möchte?
Heijnen: “So ist es. Und Bernie Ecclestone will sich auch nicht mit diesen Staaten anlegen. Man verliert Einfluss. Das hat langfristige Folgen.”
Was ist also der Stil von Bernie Ecclestone, der die Formel 1 ja über die letzten 40 Jahre erst zu dem gemacht hat, was sie heute ist, ein Milliardengeschäft?
Heijnen: “Sehr opportunistisch, sehr aggressiv, leben für den nächsten Deal, nicht langfristig an alle Zielgruppen denken. Was bringt kurzfristig das meiste Geld? Und vor allem, ohne dabei Macht zu verlieren. Wenn er entscheiden kann zwischen Geld und Macht versus dem Sport wird er lieber Geld und Macht nehmen.”